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(K)eine Abenteurerin

Astrid Schmid ruderte im Viererteam über den Pazifik und springt aus Flugzeugen – trotz oder genau wegen der Angst.

Bündner Woche
27.04.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Astrid Schmid auf dem Ozeanruderboot «Little Swiss Lady»: Nach der Atlantiküberquerung wagte das Team um die Bündnerin auch die Überquerung des Pazifiks.
Astrid Schmid auf dem Ozeanruderboot «Little Swiss Lady»: Nach der Atlantiküberquerung wagte das Team um die Bündnerin auch die Überquerung des Pazifiks.
zVg

von Cindy Ziegler

Mit dem Bündner Wappentier kann Astrid Schmid, die in St. Peter aufgewachsen ist, eigentlich nicht so viel anfangen. Ebenso wenig mit deren Lebensraum. Die Bergwelt hat sie nie in grossem Masse fasziniert, der Alpinismus empfand sie als waghalsig. Und doch sitzt die 51-Jährige an jenem Freitagmittag im April an einem Tisch im «Steinbock» beim Bahnhof Chur. Sie ist zurück in Graubünden mit einem multimedialen Vortrag im Gepäck und einem anderen Verständnis für jene, die die Berge erklimmen. Nach einem grossen Abenteuer auf dem Meer, das andere wohl als waghalsig bezeichnen würden, kann sie die Alpinistinnen und ­Alpinisten verstehen. Auch, wenn sie lieber von Begegnungen mit Walen, Haien und Delfinen berichtet. Wie im Alpinismus geht es bei den Abenteuern der Bündnerin um Verzicht, körperliche Strapazen und den Fokus auf das Wesentliche. Vor knapp einem Jahr legten Astrid Schmid und ihre Teamgspänli (eine Frau und zwei Männer) nach 4444 Kilometern auf Hawaii an. Zusammen ruderten sie in 43 Tagen einmal quer über den Pazifik. 

Es ist ein verregneter Tag, als Astrid Schmid sich in ihrer gemütlichen Stube in Thun einen Dokumentarfilm ansieht. Der Film begleitet das erste Schweizer Ruderteam, das den Atlantik überquerte. Und die Bündnerin ist fasziniert. «Ich dachte sofort, dass ich so etwas auch machen will. Zu diesem Zeitpunkt habe ich jedoch noch nie gerudert», erklärt sie bei einem Latte Macchiato und lacht. Über zwei Jahre lang bereitet sie sich vor. Sie sucht eine Teamkameradin und zwei Teamkameraden. Lernt Rudern auf dem Thunersee. Eignet sich Wissen über das Überleben im offenen Meer an. Es ist alles andere als ein Sich-Treiben-Lassen. Das eigentliche Abenteuer, die Pazifiküberquerung, sei nur etwa drei Prozent des Projektes gewesen, meint sie.  Vor dem Pazifik überruderte die Bündnerin  im ersten Schweizer Frauenruderteam den Atlantik. Weltweit haben nur 38 Personen beide Meere überrudert. «Das klingt total unromantisch, aber die Vorbereitung ist deshalb auch das, was mir am meisten in Erinnerung bleibt.» Sie blickt aus dem Fenster und überlegt kurz. «Natürlich. Da waren auch wunderschöne Sonnenaufgänge. Sternenklare Nächte. Leuchtendes Plankton. Und meterhohe Wellen.» 

Dem Rhythmus folgen

Das Abenteuer folgte seinem eigenen Rhythmus. Zwei Stunden rudern, zwei Stunden schlafen. Gemeinsam mit den Rudern ins Wasser schlagen. Essen und Trinken. Die Sonne, die aufgeht, und der Mond, der sie ablöst. «Das Schönste war, wenn wir total im Flow waren. Dann hatte ich immer das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.» Auch das Ankommen am Ziel sei magisch gewesen. Eine Genugtuung. «Wir waren demütig und dankbar. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass man irgendwo ankommt.»
 

Mit reiner Muskelkraft. Das Team «Oceans 4» auf ihrem Ruderboot.
Mit reiner Muskelkraft. Das Team «Oceans 4» auf ihrem Ruderboot.
zVg
Die Fläche der «Little Swiss Lady» ist etwa so gross wie zwei Tischtennisplatten.
Die Fläche der «Little Swiss Lady» ist etwa so gross wie zwei Tischtennisplatten.

In Graubünden fehlte Astrid Schmid das Gefühl vom Ankommen. Nach der Ausbildung zog es sie weg. Sie lebte in Zürich und im Tessin, in Nidwalden und irgendwann verschlug es sie nach Thun. Ans Wasser. «Auf die Bergsicht konnte ich auf lange Zeit aber auch nicht verzichten», sagt sie.


Wenn sich neue Welten eröffnen

Woran das liegt, kann Astrid Schmid nicht genau sagen. Für vieles, was in ihr vorgeht, fehlen ihr die Worte. Sie ist eher ein Gefühlsmensch. So auch in Sachen Abenteuer. Eigentlich sei sie von Natur aus nicht unerschrocken. «Sondern das Gegenteil. Ich bin eigentlich ein ausgesprochener Angsthase», meint sie. Und doch waren und sind da offenbar Anteile in ihrer Persönlichkeit, die Angst und Grenzen überwinden. Zum ersten Mal passierte das beim Tauchen. Sie liess sich damals überreden. Und entdeckte so eine neue Welt. Zu dieser sei mit dem Rudern noch eine neue Dimension dazugekommen. Die Oberfläche. Und das offene Meer ohne Land und Menschen in Sicht. «Auf dem Pazifik waren wir so weit weg von allem. Zeitweise waren die uns nächsten Menschen, diejenigen auf der Raumstation ISS», erzählt sie. Kurz wird sie traurig. Sie spricht von Ferien fürs Gehirn, die jäh unterbrochen wurden, als Abfall über Abfall am Boot der Schweizerinnen und Schweizer vorbeitrieb. «Das hat uns beelendet.»

Die Pazifiküberquerung ist ein Erfolg. Bis zu diesem Zeitpunkt kamen nur 70 Prozent der Ruderinnen und Ruderer auf Hawaii an. Am schwierigsten auf hoher See war das Zwischenmenschliche. «Wir lebten für 43 Tage auf der Fläche von zwei Tischtennisplatten. Da kann man sich nicht ausweichen», erzählt Astrid Schmid. «Wir mussten das einfach aushalten.» Und doch seien die gemeinsamen Momente mit die schönsten der Reise gewesen. Die 51-Jährige erzählt von geteilten Orangen und ihrem Geburtstag ohne Land in Sicht. 

Zurück ins «Steinbock» und zur Gretchenfrage, ob Astrid Schmid eine Abenteuerin ist. Wieder lacht sie. Die dunkeln Locken hüpfen leicht auf und ab. «Ich bin nur in jener Hinsicht eine Abenteurerin, als dass ich gerne neue Welten entdecken. Aber ich bin nicht von Natur aus mutig. Ich mache einfach.» So absolvierte sie zum Beispiel auch mit 40 noch die Lizenz zum Fallschirmspringen. Auch darum geht es beim Vortrag «Showcase Bullauge». Nach vergangenen Events seien Leute an Astrid Schmid herangetreten und haben von ihren Herzenswünschen berichtet, die sie sich nun endlich erfüllt hätten. «Ich glaube, dass ich mir solche Wünsche erfülle, liegt daran, dass ich einfach nicht so geduldig bin.» Auf dem Haus ihres Vaters im Schanfigg steht eine Inschrift: «Fürcht nicht die Welt, greif tapfer an.» Das passe zu ihr, findet Astrid Schmid. Als Kind habe sie das nicht verstanden. Heute aber umso mehr. 
 

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