×

Medizinische Versorgungssicherheit geht nur gemeinsam

Stephanie Hackethal, CEO des Kantonsspitals Glarus, über die Herausforderungen im Gesundheits­wesen.

Südostschweiz
25.10.22 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Unter Druck: Stephanie Hackethal erklärt, wieso das Kantonsspital unter dem Fachkräftemangel leidet.
Unter Druck: Stephanie Hackethal erklärt, wieso das Kantonsspital unter dem Fachkräftemangel leidet.
Archivbild

Die Coronapandemie wirkt nach. Und zwar erheblich, gerade bei den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen. Dies spüren auch der Kanton Glarus und dessen Einrichtungen – namentlich unsere Ärzte, aber auch unsere Pflegefachpersonen, die sich nach sehr intensiven Jahren eine Rückkehr zur Normalität erhofft hatten. Das Gegenteil ist momentan der Fall: Statt Konstanz und Stabilität durchleben nun sämtliche Einrichtungen im Gesundheitswesen im Kanton und in der Schweiz erneut schwierige Zeiten. Grosse Herausforderungen stehen an, sei es der Fachkräftemangel, der Tarif-Kostendruck, Zeitdruck oder die Steigerung der Energiekosten in Millionenhöhe.

Vor knapp einem Monat sorgte ein Beitrag in den «Glarner Nachrichten» für Gesprächsstoff: «Ein Kantonsspital-Team sorgt sich um die Qualität der Pflege». Diese Besorgnis ist ernst zu nehmen, sehr sogar. Und ich verstehe dieses Signal seitens der Pflegefachkräfte als sehr wichtiges und dringliches zugleich. Auch unsere Geschäftsleitung ist sich der Bedeutsamkeit dieses Rufs aus der Pflege Chirurgie sehr bewusst und steht in intensivem Austausch mit ihnen, den Ärzten und allen anderen Mitgliedern unseres Spitals. Wie die meisten anderen Spitäler in der Schweiz ist auch das Kantonsspital Glarus seit längerer Zeit vom Mangel an Fachkräften betroffen. Bis anhin können wir glücklicherweise dank viel Kraft und fast übermenschlichem Einsatz unserer Fachleute die Personalengpässe auffangen. Dafür gilt es auch mal laut Danke zu sagen.

Rasch können auch wieder Zeiten kommen, in denen die Fallzahlen stärker zunehmen – siehe jetzt: mit dem Aufflammen der Coronapandemie. Bei gleichbleibenden Fallzahlen oder nur minim steigenden Fällen schaffen wir es, mittels diverser Sofortmassnahmen den laufenden Betrieb und die Aufnahmebereitschaft in der gewohnten Qualität aufrechtzuerhalten. Das hat definitiv oberste Priorität. Unser Spital muss die Versorgungssicherheit für unsere Bevölkerung sicherstellen. Nichtsdestotrotz: Die Situation ist angespannt. Und der Stresslevel für die Pflegenden steigt nochmals massiv.

Wieso wir denn nicht einfach mehr neue Leute anstellen, werde ich oft gefragt. Das ist leider nicht so einfach. Die Engpässe im Bereich der diplomierten Pflege verschärfen sich eher noch. Wir befinden uns alle in einer sehr anspruchsvollen Situation und können keinesfalls die enorm geforderten Fachkräfte noch mehr belasten. Gleichzeitig finden wir nur wenige neue Fachleute – wie die meisten Spitäler in hiesigen Landen. Und dies, obwohl wir seit über einem Jahr sehr systematische Anstrengungen im Employer Branding (Massnahmen, um die eigene Marke zu stärken und sich als Unternehmen gegenüber potenziellen Bewerbern attraktiv zu präsentieren) und in der Suche nach neuen Fachkräften unternehmen.

Im genannten Medienbericht war auch die Rede von unseren Stellenplänen, die eigentlich für chirurgische und medizinische Bettenstationen weitestgehend gefüllt seien. Was aber nicht bedeutet, dass alle Stellen auch real physisch besetzt sind und dass wir keine Lücken in den effektiven Dienstplänen haben. Im Gegenteil: Die Pflegenden auf der Station erleben tagtäglich die Situation, dass die tagesgenauen Dienstpläne eben nicht gefüllt sind. Sprich: Das anwesende Team muss einspringen, beispielsweise bei Absagen durch Krankheit und ähnlichen unplanbaren Situationen.

Leider sind auch Temporärkräfte nicht wirklich die Lösung. Zwar können wir in der Pflege Medizin aktuell auf die Hilfe von drei bis vier Temporär-Mitarbeitenden zählen. Diese kommen primär dort zum Einsatz, wo Stelleninhaberinnen und Stelleninhaber seit Langem krankheitshalber ausgefallen sind. Das bringt teilweise Entlastung, zugleich aber auch einen höheren Arbeitsaufwand für die verbleibenden Festangestellten. Was wiederum zur Überlastung und Überforderung führen kann. Wir sind uns dieses Dilemmas bewusst und suchen intensiv nach neuen, fix angestellten Fachkräften.

Im Extremfall müssten wir nach Abwägen aller möglichen Alternativen ganz sorgfältig überlegen, wann eine Einschränkung des Betriebs unumgänglich wäre. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass nicht mehr alle Betten betrieben werden könnten. Da sind wir aber noch nicht angelangt! Und ich möchte betonen: Wir setzen alles daran, die Auswirkungen für unsere Patientinnen und Patienten sowie die Zuweiser zu minimieren, um den vollen Betrieb bei konstant guter Qualität zu gewährleisten. Gleichzeitig hoffen wir auf Verständnis, wenn nicht alles so rund läuft, wie es sollte, beispielsweise unliebsame Wartezeiten entstehen oder nicht ausreichend Zeit für zwischenmenschliche Gespräche am Bett vorhanden ist. Wir wissen, dass das für unsere Patientinnen und Patienten herausfordernde Situationen sind, gerade in der Leidenssituation und/oder bei anderen niederschmetternden Diagnosen.

Doch was ist die Lösung für diese schwierige Situation? Für mich ist klar: Wir brauchen alle Mitarbeiten-den an Bord, wir brauchen die Gesundheitseinrichtungen dieses Kantons auf Deck – und wir brauchen die Politik. Sie schafft die Rahmenbedingungen für unser Tun im Gesundheitswesen, sei es im Spital, in Alters- und Pflegeheimen, aber auch in der Ausbildung von Pflegefachkräften. Ich würde es daher sehr befürworten, wenn wir uns noch intensiver in institutionsübergreifenden Gesprächen austauschen. Wir brauchen in meinen Augen einen fixen runden Tisch zu diesen Themen. In diesem Zusammenhang begrüsse ich die Aktion des Komitees Pflege Glarnerland beispielsweise sehr. Das Schöne an diesem Kanton ist die Überschaubarkeit, und es sind die kurzen Wege. Wieso also nicht eine kantonale Lösung finden und eine Vorreiterrolle für die Schweiz übernehmen?

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Hut ab vor der Offenheit, mit der Frau Hackethal die Situation schildert! Dies ist ihr wirklich hoch anzurechnen. Ebenso ihr Bemühen, Lösungen im direkten Austausch mit den Pflegenden, weiteren Institutionen und auch der Politik zu suchen. Es ist klar, dass die Institutionen Unterstützung - vor allem finanzielle - der Kantone benötigen. Denn die Pflegenden lieben ihre Arbeit und möchten diese mehrheitlich auch in Zukunft ausüben; allerdings unter verkraftbaren Bedingungen und in Vereinbarkeit mit ihrem Privatleben.

Mehr zu Wirtschaft MEHR