Die Rache der Anne Lauvergeon
Sie war die mächtigste Französin und wurde von Präsident Nicolas Sarkozy beim Atomkonzern Areva unsanft ausgebootet. Jetzt steigt Anne Lauvergeon bei der Zeitung «Libération» ein, die gegen den Staatspräsidenten ist.
Sie war die mächtigste Französin und wurde von Präsident Nicolas Sarkozy beim Atomkonzern Areva unsanft ausgebootet. Jetzt steigt Anne Lauvergeon bei der Zeitung «Libération» ein, die gegen den Staatspräsidenten ist.
Von Stefan Brändle
Paris. – Halb ehrfürchtig, halb ironisch nannte man sie «Atomic Anne» – bis am 16. Juni: An diesem Tag wurde Anne Lauvergeon von der französischen Regierung an der Spitze des Atomkonzerns Areva entlassen. Zehn Jahre lang hatte die 51-jährige Physikerin aus den Bruchstücken der verzettelten Nuklearindustrie Frankreichs den weltgrössten Branchenkonzern geschmiedet. Sogar den Namen Areva wählte sie in Anlehnung an ein spanisches Kloster selbst. Heute liefert das Unternehmen die gesamte Brennstoffkette vom Uranabbau über den AKW-Bau bis zu Wiederaufbereitung und Endlagerung.
Selbst Umweltschützer mussten – widerstrebend – zugeben, dass die ehemalige Beraterin des sozialistischen Ex-Präsidenten François Mitterrand die geheimniskrämerische Atomindustrie ihres Landes modernisiert hatte und vergleichweise transparent kommunizierte. Den Frauenanteil in dieser Männerdomäne verdoppelte die bekennende Feministin in einem Jahrzehnt auf 20 Prozent. Auch nach dem Atomunfall in Fukushima wahrte sie kühlen Kopf und schickte Hilfstechniker nach Japan. Ein Dorn im Auge
Eine klare Erfolgsstory also. Nicht für Staatspräsident Nicolas Sarkozy: Ihm war die unabhängige und selbstbewusste Powerfrau stets ein Dorn im Auge. Sie störte seine industriellen Pläne, die er mit seinen Männerfreunden ausheckte: Henri Proglio, Chef von Electricité de France, Patrick Kron, Chef von Alstom, Martin Bouygues, Chef des gleichnamigen Baukonzerns, und eben Sarkozy wollen die französische Atomindustrie neu organisieren und – nicht zuletzt unter sich – aufteilen. Lauvergeon wollte ihr Kind Areva aber nicht hergeben, und schon gar nicht für die undurchsichtigen, zum Teil persönlich gefärbten Interessen eines Machtclans.
Mitte Juni wurde das blonde, in Frankreich sehr populäre Hindernis aus dem Weg geräumt. Lauvergeon liess eiskalt verlauten, sie nehme ihre Entlassung «zur Kenntnis», obwohl Staatsdiener wie sie Präsidialentscheide eigentlich nicht öffentlich zu kommentieren haben. Offen prangerte sie die «fluktuierende Strategie» des Staates und damit Sarkozys an.
Auf Anti-Sarkozy-Kurs
Am Mittwoch ging sie ganz in die Opposition: Lauvergeon tritt in Verwaltungsrat der Zeitung «Libération» ein und soll auch dessen Vorsitz übernehmen, wie es in einer Unternehmensmeldung heisst. Das Linksblatt fährt heute als einziges der drei grossen Pariser Tageszeitungen – neben «Le Figaro» und «Le Monde» – einen klaren Anti-Sarkozy-Kurs. Und in Lauvergeon dürfte der Staatschef in den zehn kommenden Monaten bis zur Präsidentschaftswahl 2012 keine neue Fürsprecherin finden; im Gegenteil hat die 51-jährige, in der Parti Socialiste eingeschriebene Ingenieurin mit Sarkozy noch eine Rechnung zu begleichen: «Libération» wird unter ihr nur noch bissiger sein, was Sarkozys Wiederwahlkampagne anbelangt. «Libération»-Hauptaktionär Edouard de Rothschild präzisierte, dass die redaktionelle Linie des Blattes mit der Berufung Lauvergeons nicht ändern werde. Das ist allerdings nicht auf den wahl-, sondern den umweltpolitischen Kurs des Blattes gemünzt. Zahlreiche Leser fragten über den Internetdienst Twitter, ob die sehr kernkraftkritische «Libération» wohl auf Atomkurs umschwenken werde. Die eigenen Online-Kommentarspalten zum Einstieg Lauvergeons hielt «Libération» geschlossen.
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