«Damit macht sich Glarus lächerlich»
Johanna Schneiter-Britt ist nicht glücklich mit den sieben Ständerats-Kandidaten, welche die Nachfolge This Jennys antreten wollen. Sie erklärt, warum und weshalb Frauen mit der gleichen Masche wie die Männer politisieren müssten.
Johanna Schneiter-Britt ist nicht glücklich mit den sieben Ständerats-Kandidaten, welche die Nachfolge This Jennys antreten wollen. Sie erklärt, warum und weshalb Frauen mit der gleichen Masche wie die Männer politisieren müssten.
Mit Johanna Schneiter-Britt sprach Brigitte Tiefenauer
Haben Sie schon entschieden, welchen Mann Sie am 18. Mai in den Ständerat wählen, oder werden Sie leer einlegen?
Johanna Schneiter-Britt: Ich werde sicher nicht leer einlegen, sondern einen Kandidaten unterstützen, der es dann hoffentlich in den zweiten Wahlgang schafft. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.
Also ist Ihnen als ehemalige Frauenrechtlerin die Rolle der Frauen in dieser Wahl egal?
Die existiert ja nicht. Frauen sind kein Thema. Darüber bin ich frustriert. Wir waren vor 20 Jahren weiter als heute.
Das sagen Sie erstaunlich gelassen.
Sehen Sie, wir haben jetzt sieben Kandidaten und damit ein Ärgernis.
Das müssen Sie erklären.
Die Parteien sind von dieser Wahl eiskalt überrumpelt worden. Nach der Ersatzwahl für Pankraz Freitag waren sie nicht mit zusätzlichen Kandidaten gerüstet – schon gar nicht neben der Regierungs- und der Landratswahl. Ich schliesse meine Partei, die SP, in diese Kritik ein. Auch wir hatten schlicht niemanden.
«Auswahl aus der dritten Garnitur»
Aber es ist doch – abgesehen von der fehlenden Frauenkandidatur – gut, dass sich immerhin sieben Personen für eine Kandidatur aufgerafft haben.
Es geht um eine gute Vertretung in Bern. Der Wahlkampf ist aber zum «Jekami» verkommen. Je mehr kommen, desto mehr werfen sich auch noch ins Rennen. Neben vielleicht zweien, welche man sich in Bern vorstellen könnte, gibt es mehrheitlich selbst ernannte und gar solche, die von sich selber sagen, sie seien keine Politiker. Von mindestens zweien wissen wir nicht, wer sie unterstützt, beziehungsweise, wen sie vertreten. «Die Glarner», sagen sie. Und offenbar die Glarnerinnen nicht. Allein das ist eine Frechheit. Und statt aus Kandidaten erster Güte, die Glarus als Vertretung in Bern bräuchte, muss das Volk aus der dritten Garnitur wählen. Das ist ziemlich penibel und äusserst heikel. Mit dieser Wahl macht sich der Kanton Glarus einfach nur lächerlich. Da kann man sich dann echt fragen, warum sich nicht auch noch eine Frau berufen fühlt. Eine halbwegs valable Frau könnte in diesem Tummelfeld durchaus eine Chance haben.
Haben Sie darauf eine Antwort?
Eine Kandidatur kostet viel Geld, das die meisten Parteien – vor allem bei dieser Anhäufung von Wahlen – schlichtweg nicht haben. Wer also antreten will, muss bereit sein, sehr viel Geld à fonds perdu einzusetzen. Das ist für Männer oft schwierig, für Frauen aber meist ein echtes Problem, das sie von einer Kandidatur abhält.
«Parteilos gilt als Gütesiegel»
Dieser Aspekt ist ja nicht neu. Und im Gegenzug dürfen wir nicht vergessen, dass Glarus immerhin noch zwei Regierungsrätinnen und in der Vergangenheit diverse Landrats- und Gemeindepräsidentinnen sowie eine Obergerichtspräsidentin hatte.
Es geht nicht um eine oder keine Frau. Es ist eine dringende Aufgabe der Parteien, längerfristig Frauen und auch Männer aufzubauen. Die Parteien sind in Verruf gekommen. Parteilos gilt mittlerweile als Gütesiegel. Mit Worthülsen eckt man weniger an als mit klaren Linien und Sachthemen. Aber es geht in einer direkten Demokratie nicht ohne Parteien. Wer nach Bern kommt, agiert im politischen System. Darin muss man nicht wundergläubig dem Guru nachlaufen, das hat This Jenny bewiesen. Aber es lässt sich auch nicht vermeiden, dass die Geschäfte den Fraktionen zur Vorbereitung übergeben werden. Ein Unabhängiger bewegt sich aber als Einzelmaske im luftleeren Raum. Zudem ist er für den Wähler nicht fassbar.
«Primär ging es um das Zeichen»
Sie sind eine «Politikerin von damals». Als Familienfrau und Mutter von drei Kindern haben Sie sich «aus dem Laufgitter» befreit, wie Sie damals sagten, ein Jusstudium absolviert und 1982 für den Ständerat kandidiert. Mit welcher Motivation?
Ich zog als junge Frau gegen die zwei altverdienten Ständeräte Hefti und Meier ins Feld und wusste, dass ich nicht gewählt werden konnte – obwohl ich natürlich gewinnen wollte. Primär ging es der SP um das Zeichen, dass etwas anderes als die alten Herren denkbar wäre. Als Parteipolitikerin und Kämpferin für Frauenthemen wie die Gleichberechtigung, das Ehe- und natürlich das Frauenstimmrecht erschien ich der SP für die Kandidatur geeignet und traute mir das Amt auch zu.
«Eine starke Frau braucht Frauen»
Was braucht es denn heute, damit eine Frau überhaupt kandidieren kann?
Einen möglichst grossen Leistungsausweis und vor allem, dass man sich hineinkniet. Ein Beispiel scheint mir Andrea Faes, die als aktive, junge Frau und mit Engagement für Familien und Kinder im Februar auf Anhieb das Rennen in den Gemeinderat gewann und gleich Vizepräsidentin wurde. Die Frauen müssen aber auch einmal ein Wagnis eingehen und eine Niederlage riskieren. Ich habe auch mehrmals verloren – und die Kampfwahl zur Obergerichtspräsidentin dann dank den Frauen gewonnen. Starke Frauen brauchen Frauen im Rücken. Und zwar, wie ich schon damals sagte, keine Glückwünsche, sondern Stimmen.
Also sind Wahlschlappen von Frauen – ich denke an Christine Bickel – primär die Schuld der Frauen?
Ich denke schon. Abgesehen davon, dass es die FDP leider überflüssig fand, eine Frau für die Regierung zu portieren, hat Bickels Scheitern mit verbreitetem Desinteresse der Frauen an der Politik zu tun. Dass ein Bisheriger über die Klinge springen muss, passiert selten. Dass es aber die einzige Frau und eine tüchtige Schafferin war, erscheint mir typisch.
Sie haben es bereits angetönt: Sie hätten neben valablen Kandidaten auch gerne eine Frau. Warum ist eine Glarner Eidgenossin wichtig?
In der Sachpolitik geben Themen, die Frauen betreffen, zwar viel zu reden. Die Situation der Frauen wie Doppelbelastungen und fehlende Gleichberechtigung gehen hingegen oft unter. Ich denke an die Rentenpolitik, das AHV-Alter: Solange Frauen 20 Prozent weniger verdienen als Männer und die Arbeitsmöglichkeiten von Familienfrauen schlechter sind und Lücken im Rentensystem zur Folge haben, war das bisherige Jahr frühere Pensionierung ein milder Ausgleich. Solche Aspekte in die Politik einzubringen, wären Aufgaben für eine Frau.
«Blick, der näher am Leben ist»
Wie sieht eine weibliche Politik aus?
Frauen haben oft einen Blick, der näher am Leben ist. Ich denke an die Energie-, die Gesundheits- und Generationenpolitik. Das sind Themen, die meistens die Frauen ausbaden.
Was für ein Profil braucht eine Frau, die politisch Erfolg haben will?
Wir Frauen müssen leider mit der gleichen Masche politisieren wie die Männer, wenn wir wahrgenommen werden wollen. Das habe ich in meinen Ämtern jedenfalls so gehalten.
… als Sie als Obergerichtspräsidentin einem Landrat in einer Landratsdebatte 2005 zu den Richtersalären androhten, ihn an den Ohren zu nehmen?
(lacht) Es war mein Mittel, mich durchzusetzen. Vielleicht gibt es Frauen, die das anders können und handhaben. Das Durchsetzungsvermögen steht für mich über einer weiblichen Art der Amtsführung.
«Bitte nicht auf Prinzen warten»
Gibt es ein Rezept, wie eine Frau sich durchsetzen kann?
Sie muss sich auch sichtbar machen, sonst geht sie vergessen. Und eine Frau braucht einfach mehr Power. Man muss organisiert sein, darf es sich nicht leisten, unvorbereitet an einer Sitzung zu erscheinen. Frauen müssen sehr viel leisten – und insgesamt besser sein als die Männer.
Was müsste sich ändern, damit der Weg für die Frauen in die Politik und Führungspositionen geebneter würde?
Frauen müssten neben der bereits erwähnten Förderung vor allem selber aktiv werden. Sie können nicht warten, bis Prinzen sie wachküssen. Sie müssen sich ein Gebiet suchen, in dem sie zu Fachfrauen werden und sich bewegen, Missstände benennen, auch einmal auf die Barrikaden steigen.
Jetzt ist es wohl etwas spät für eine Frauenkandidatur. Was halten Sie von einem «Schneewittchen» zu den sieben Zwergen für den zweiten Wahlgang?
Irgendeine könnte das wohl richten. Aber ich will ja nicht irgendeine, sondern eine qualifizierte Person. Wenn es sie gäbe, wäre sie portiert – mit entsprechenden Wahlchancen. Aber es fällt mir momentan keine ein.
Ennenda. – Johanna Schneiter-Britt war die erste Glarner Obergerichtspräsidentin. Das hohe Amt, das sie elf Jahre innehatte, eroberte sich die heute 71-Jährige an der Landsgemeinde 1995 im zweiten Anlauf, in einer Kampfwahl gegen Fritz Schiesser. Dies, nachdem sie vorher schon 17 Jahre dem Obergericht angehört hatte. Zum Obergericht kam die «Hausfrau aus Ennenda, die sich mit einem Jusstudium aus dem Laufgitter befreit hatte», wie sie sagt, im Jahr 1978. Damals siegte sie im Wahlkampf gegen drei Männer. (bt)
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